Einführung

Ortsdialekt oder Umgangssprache?

Das dialektologische Interesse gilt üblicherweise dem Basisdialekt, der Grundmundart - also der "dialektalsten" Sprachschicht, die sich an einem Ort finden lässt. Darunter verstehen wir jene sehr kleinräumig gebundenen Merkmale und Eigenheiten, die als typisch für diesen Ort und seine engere Umgebung gelten können. Die meisten sprachlichen Merkmale weisen jedoch eine größere regionale Reichweite auf - es ist somit in erster Linie die Kombination von spezifischen Merkmalen, die das Besondere eines Ortsdialektes ausmacht. Zum Unterschied von der Standardsprache (die deshalb ja auch oft als "Schriftsprache" bezeichnet wird) sind die Dialekte Erscheinungsformen der gesprochenen Sprache und waren in ihrer historischen Entwicklung keinen äußeren Normierungszwängen ausgesetzt. Das macht sie zum idealen Forschungsobjekt für sprachwissenschaftliche Fragestellungen aller Art.

In der Alltagskommunikation können wir feststellen, dass sich der Großteil der Kommunikation in einer sprachlichen Mittellage zwischen den beiden Polen des kleinräumig gebundenen Dialekts und der überregionalen Standardsprache abspielt: Je nach Gesprächspartner und Gesprächsanlass verwenden und hören wir unterschiedlich stark dialektale bzw. standardsprachnahe Formen. Zumeist werden weder die urtümlichsten, kleinsträumigen, noch die allzu deutlich als hochsprachlich (und deshalb meist als unnatürlich und übertrieben) empfundenen Varianten eingesetzt. Für diesen breiten sprachlichen Übergangsbereich, der gleichermaßen durch das Fehlen von dialektalen wie von hochsprachlichen "Extremen" charakterisiert ist, hat sich die Bezeichnung "Umgangssprache" eingebürgert. Für die junge Generation ist das allerdings bereits häufig die "dialektalste" Sprachschicht, derer sie sich bedienen kann. Ein rasanter "Dialektwandel" zeichnet sich vielfach ab.

Gibt es einen einheitlichen Ortsdialekt?

Dass die Sprache/der Dialekt auch eines kleinen Ortes nichts vollkommen Einheitliches, Homogenes sein kann, wird häufig übersehen: Meist zeigen sich bereits bei einem einzelnen Sprecher (!) Schwankungen seiner Dialektformen während einer Aufnahme - noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn verschiedene Sprecher als sprachliche Gewährspersonen herangezogen werden. Diese Unterschiedlichkeit ist nichts Ungewöhnliches, sondern der Normalfall. Sprache ist ständig im Wandel begriffen, und Sprachwandel setzt Sprachvariation voraus: Veränderungen erfassen zunächst einzelne Formen/einzelne Wörter, die in ihrer Realisierung variabel werden. Neue und alte Formen werden abwechselnd verwendet. Allmählich beginnt sich die neuere Form durchzusetzen, bis sie schließlich die frühere Form gänzlich ersetzt. Veränderungsprozesse dieser Art finden ständig statt, die Variation der Sprechweise eines einzelnen Sprechers gibt davon genauso Zeugnis wie die Verwendung unterschiedlicher Formen bei verschiedenen Sprechern.

Rein "einsprachig-dialektale" SprecherInnen sind schon in früheren Zeiten kaum vorstellbar, und in Zeiten rasant gestiegener Mobilität und entsprechend verändertem Kommunikationsumfeld erst recht unrealistisch. So haben wir einen gewissen Variationsbereich als Grundvoraussetzung jeder Sprachaufnahme zu akzeptieren: Wir erheben nicht den Anspruch, jeweils die "einzig mögliche" Dialektform an einem bestimmten Aufnahmeort erfasst zu haben (ein solcher Anspruch wäre für jede Spracherhebung unredlich), es wird aber in jedem Fall ein typischer Ausschnitt aus der Sprachwirklichkeit dokumentiert, für den unsere Gewährspersonen jeweils als "repräsentativ" gelten können.

Wie kann man einen Dialekt dokumentieren?

In der Dialektologie gibt es die traditionelle Methode, ein umfangreiches Fragebuch, das einen großen Querschnitt durch den gesamten Alltagswortschatz enthält, abzufragen und die Antworten in genauer Lautschrift zu notieren. Eine solche Befragung dauert meistens mehrere Tage und erfordert mehrere Gewährspersonen, die möglichst aus der gleichen Sprechergruppe stammen sollten. Auch für diesen Atlas haben wir ein - verkürztes - Fragebuch zugrunde gelegt und in jedem Ort abgefragt, um eine umfassende Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Hier wurden die Antworten jedoch nicht schriftlich festgehalten, sondern auf Tonträger aufgezeichnet; damit sind die Sprachbeispiele ohne komplizierte (und oftmals auch verzerrende) lautschriftliche Übertragung für alle Interessierten nachhörbar und nachvollziehbar.

Die Aufgabe der Gewährspersonen bestand darin, die im Fragebuch standardsprachlich vorgegebenen Begriffe, Wörter und Sätze in den ortsüblichen Dialekt zu übertragen. Dies ist eine schwierigere Aufgabe, als es zunächst scheinen mag. Die Vorgabe, einen möglichst "normalen" alltagssprachlichen Sprachgebrauch abzurufen, fällt bei einem solchen länger dauernden Abfragevorgang nicht immer leicht. Es sollten dabei keine "Erinnerungsformen" aus vergangenen Zeiten aktiviert werden, und noch weniger war eine Orientierung an standardsprachnahen Varianten erwünscht. Nicht immer ist in so einer Situation die ansonsten üblicherweise verwendete Variante gleich "griffbereit", und natürlich findet sich auch bei jeder Gewährsperson ein gewisser Variationsspielraum.

Wer sind unsere Gewährspersonen?

Als geeignete Informanten für den Basisdialekt kommen Personen der älteren Generation in Frage, die im Ort geboren und aufgewachsen sind und von denen anzunehmen ist, dass sie in ihrem Alltag hauptsächlich ihren angestammten Dialekt verwenden. Da sich zudem alte Lautungen, Formen und Wörter meist besonders gut im traditionellen bäuerlichen "Fachwortschatz" halten, gelten Personen bäuerlicher Herkunft als "klassische" Gewährspersonen. Dies trifft auch auf unsere Informantenauswahl für den Dialektvergleich zu. Für jeden Ort wurde ein "prototypischer" Sprecher ausgewählt - die Gewährspersonen stammen aus dem bäuerlichen Bereich und sind zwischen 70 und 90 Jahren alt.

Einen Eindruck von aktuell vor sich gehenden sprachlichen Veränderungsprozessen gibt unsere Registerkarte Generationenvergleich: Zusätzlich zu den basisdialektalen Formen der älteren Generation finden wir hier die Formen von SprecherInnen der jüngeren Generation (ca. 18-30 Jahre). Diese Gewährspersonen stammen zumeist nicht aus der bäuerlichen Schicht und sollten die Sprechweise eines jüngeren "Durchschnitts-Einwohners" des jeweiligen Ortes repräsentieren. Naturgemäß ist in dieser SprecherInnengruppe die Streubreite der Variation am größten.  An dieser Stelle sei allen unseren Gewährspersonen von Herzen gedankt für ihre Bereitschaft zum Mitmachen, ihre Geduld und für die Freundlichkeit, mit der wir aufgenommen wurden!

Fragebuch

Den Tonaufnahmen lag ein von Hannes Scheutz erstelltes Fragebuch zu Grunde. Es enthält ca. 500 Einzelfragen zu bestimmten Fragestellungen aus den unterschiedlichen sprachlichen Ebenen (Lautebene, Wortformen, Satzbau) und zu einzelnen Sachgebieten des Alltagswortschatzes. Die Gewährspersonen sollten spontan jene Ausdrücke wiedergeben, die sie normalerweise verwenden. Diese Fragen sehen etwa folgendermaßen aus:

  • Wie sagt man im hiesigen Dialekt zur Biene?
  • Wie lauten hier die Formen des Zeitwortes ziehen (ich ziehe, du ziehst, er zieht...; zieh!; gezogen; usw.)?
  • Ortsüblicher Gruß am Abend?

Wir haben uns bemüht, möglichst viele jener Wortschatzbereiche miteinzubeziehen, die sich auch in den Fragebüchern der traditionellen Sprachatlasunternehmungen finden - allerdings ohne deren hauptsächliche Ausrichtung auf den bäuerlichen Alltags- und Fachwortschatz zu übernehmen. Generationen von Dialektforschern haben sich bevorzugt jener bäuerlichen Wortschatzbereiche angenommen, die in lautlicher und sonstiger formaler Hinsicht entweder besonders alter­tümliche Formeigenschaften aufweisen oder als "Kennwörter" für bestimmte Dialektgebiete gelten können. Die aufnahmepraktische Erfahrung unserer Tage zeigt jedoch, dass diese Wortschatzbereiche selbst bei den älteren Gewährspersonen häufig nur noch als Erinnerungsformen (und auch dies nur mehr teilweise) vorhanden sind.

Weitaus stärker als bisher sollte dagegen jenen Fragen nachgegangen werden, die in der bisherigen Dialektforschung weitestgehend unberücksichtigt geblieben sind. Dabei handelt es sich um die Bereiche der Wortformen (Verb- und Substantivflexion) und deren Zusammenhänge mit Regularitäten des Satzbaus und der Wortstellung.

Aufnahmen

Im Unterschied zu traditionellen Dialekterhebungen, bei denen die Antworten der Gewährspersonen nicht akustisch aufgezeichnet, sondern in einer genauen Lautschrift sofort aufgeschrieben (transkribiert) werden, haben wir die gesamte Aufnahmesitzung jeweils mit einem qualitativ hochwertigen digitalen Aufnahmegerät festgehalten. Die Aufnahmen wurden größtenteils nicht im Studio, sondern unter "natürlichen" Bedingungen zumeist in den privaten Wohnräumen der Gewährspersonen durchgeführt. Daraus ergeben sich manchmal akustische Mängel des Materials auf Grund von unvermeidbaren Nebengeräuschen, Hall-Effekten oder stark schwankenden Abständen der SprecherInnen vom Mikrofon. Diese Mängel, die trotz einer z.T. recht umfangreichen akustischen Bearbeitung manchmal noch hörbar sind, werden allerdings wettgemacht durch die möglichst große Sponanteität und Unmittelbarkeit der Antworten, die nur in einer solchen weitgehend natürlichen Aufnahmesituation möglich sind.

Belegwörter und -sätze

Die ausgewählten Beispielwörter/-sätze wurden anschließend aus dem gesamten Material elektronisch "ausgeschnitten". Durch die häufige Einbettung der erfragten Wörter in eine längere Antwort der Gewährsperson war die Isolierung von Einzelwörtern nicht immer möglich: Immer dann, wenn ein Tonschnitt zu größeren Verzerrungen des Höreindruckes geführt hätte, haben wir das Beispielwort in seiner ursprünglichen Satzeinbettung belassen. In wenigen Fällen konnte das gewünschte Wort nicht erfragt werden; dies wird durch einen spezifischen Signalton angezeigt. Um einen natürlicheren Eindruck von der Sprechweise der einzelnen Gewährspersonen zu ermöglichen, präsentieren wir in mehreren Tonbeispielen nicht nur einzelne Wörter, sondern etwas längere satzwertige Äußerungen.

Aufnahmeorte

Die Auswahl der insgesamt 32 Aufnahmeorte sollte einen einigermaßen vollständigen Überblick über die Salzburger Sprachlandschaft ermöglichen, ohne sich allzu sehr ins kleinregionale Detail zu verlieren; dies war schon allein aus Gründen der Arbeitsökonomie geboten. Auch einige Orte aus dem angrenzenden bayrischen Raum wurden berücksichtigt, um den sprachlichen Bezügen zu jenen Gebieten nachspüren zu können, die ehemals dem salzburgischen Erzbischoftum angehörten. Um ein noch genaueres Bild der Salzburger Dialekte zu erreichen, wird eine sukzessive Erweiterung des Sprachatlas um zusätzliche Orte angestrebt.